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Doch um nicht für mich allein heute gelernt zu haben, will ich Dir drei vortreffliche Sprüche von ungefähr gleicher Bedeutung, die mir heute bei der Lektüre begegnet sind, mitteilen; einen davon wird dieser Brief als Schuld einlösen, zwei nimm schon im voraus entgegen. Demokrit sagt: „Einer gilt mir für das Volk und das Volk für einen.

Treffend erwiderte auch jener, wer immer es auch war – man ist sich nämlich über den Autor nicht im klaren – auf die Frage, welchen Zweck diese so gründliche Beschäftigung mit einer Kunst verfolge, die nur bei ganz wenigen ankommen würde, »genug sind mir wenige, genug ist einer, genug ist keiner«.
Ganz hervorragend fasste diesen dritten Gedanken Epikur in Worte, als er einem Mitarbeiter an seinen Studien schrieb: „Das widme ich nicht vielen, sondern Dir; denn wir beide sind einer dem anderen ein hinreichend großer Zuhörerkreis.“
Dies, mein Lucilius, musst Du in Deinem Herzen verwahren, damit du ein Hochgefühl verachtest, das aus der Zustimmung der Menge kommt. Viele loben Dich: Hast Du etwa einen Grund, Dir zu gefallen, wenn Du so einer bist, den viele begreifen? Nach innen seien Deine Vorzüge gerichtet!
Leb wohl!

Lucius Annaeus Seneca, Briefe an Lucilius

Auch Montaigne reklamiert diese Position: Ich schreibe in erster Linie für mich (und dich).

Côte d’Emeraude, Postkarte